Angefangen hat es mit einem Artikel in der internen Daimler-Zeitschrift über den Neubau von “Mercedes-Benz Manhattan”. Es ist übrigens die einzige firmeneigene Niederlassung von Mercedes-Benz USA (MBUSA) in den Vereinigten Staaten. Ein Vorzeigeobjekt sollte es werden, für die mehr als 350 Vertragshändler. Die Idee war, neben dem Umzug in Richtung „Automeile“ auf der 11th Avenue, das perfekte Umfeld für Sales und Service auf höchstem Niveau zu schaffen. So habe ich aufmerksam 2011 die Berichterstattung verfolgt, unter anderem bei YouTube; hier oder hier.
Da wir im Frühjahr 2012 ohnehin einen Aufenthalt in New York planten, beschloss ich, mich mit Mercedes-Benz Manhattan in Verbindung zu setzen. Als Diagnosetechniker hatte ich die Hoffnung Einblicke in den Werkstattalltag gewinnen zu dürfen. Die engagierte Art mit meiner Bitte umzugehen, begeisterte mich bereits im Vorfeld. Ich traf also zwei Wochen vor meiner Familie in New York ein. Über AirBNB hatte ich ein Zimmer bei Maria und Jay in New Jersey gebucht. Daraus sollte sich später eine echte Freundschaft entwickeln. Neben dem Tag, den ich in der Zentrale von MBUSA zubringen durfte, hat mich vor allem der Kontakt zu den Kollegen von MBM überwältigt. Auch durfte ich mich in der kurzen Zeit ein wenig einbringen. So kam es, dass ich im Gespräch mit dem Service Manager laut darüber nachdachte, es mir auch für einen längeren Zeitraum vorstellen zu können. „An mir soll’s nicht liegen“, war die sinngemäße Antwort.
Nun war es an mir, diese Idee meiner Familie und meinem Betrieb zu unterbreiten. Da 2013 das Abitur meiner Tochter und der Wechsel an die Uni anstand, war es der letztmögliche Zeitpunkt, wollte ich meine Frau nicht ganz allein zu Hause zurück lassen. Ein riesiges „Dankeschön!“ in diesem Zusammenhang an die beiden „Mädels“, ohne deren Unterstützung das Jahr im Ausland nicht möglich gewesen wäre. Insbesondere an meine Frau, die im Jahr des Abi-Stresses und Uni-Beginns unserer Tochter in der ungewohnten Rolle der allein erziehenden Mutter ihren Grenzbereich auslotete. Auch in meinem Betrieb entfachte mein Anliegen keine Begeisterungsstürme, so dass ich erst spät im Oktober grünes Licht bekam. Die eigentliche Herausforderung war das Visum. Da es als Sabbatical gehandhabt wurde, mit lokalem Arbeitsvertrag vor Ort, war der Ablauf nicht vorgegeben. Die Zeit drängte und ich hatte keine Ahnung, an wen ich mich wenden sollte. Ich rief kurzerhand den Leiter von Global Assignment Services North America an. Obwohl in einer „sehr viel höheren Liga“ angesiedelt, erteilte er nicht nur bereitwillig Auskunft, sondern stellte auch den Kontakt zur zuständigen Kollegin bei MBUSA her. Er fragte sogar später nach, ob alles glatt gegangen sei. Irre! Das Anschreiben an das Konsulat erstellt grundsätzlich eine renommierte Anwaltskanzlei. Der Nachteil war die gesalzene Rechnung, der Vorteil bestand darin, dass ich im Konsulat gefühlt nur „durch gewunken“ wurde. Für die Erteilung eines US-Visums angenehm ungewöhnlich. So erhielt ich mein Visum und meinen Arbeitsvertrag noch vor Weihnachten 2012.
Ich glaube, so flau wie bei meiner Abreise im Januar 2013 habe ich mich selten zuvor gefühlt. War es doch sonst immer so, dass ich meine Tochter vermutlich zu oft in den Arm nehme, so ließ sie mich bei meiner Abreise eine gefühlte Ewigkeit nicht mehr los. Ich bin froh, dass wir als Familie schon immer zusammengehalten haben. Dieser Zusammenhalt hat sich – Gott sei Dank – in dem Jahr sogar noch verfestigt.
Der Arbeitsbeginn bei Mercedes-Benz Manhattan war erstaunlich unspektakulär. Zum einen bezüglich der Sprachbarriere, die ich mir schlimmer vorgestellt hatte, zum anderen in Hinblick auf die EDV. MBUSA arbeitet teilweise mit anderen Programmen, als wir in Deutschland. Der interne Werkstattablauf bei MBM ist vollständig papierlos. Jeder Monteur hat einen eigenes Telefon und einen Bildschirmarbeitsplatz. Die Bearbeitung der einzelnen Auftragspositionen erfolgt in Echtzeit online, so dass alle Beteiligten den Arbeitsfortschritt verfolgen können. Auch die Diagnosedokumentation erfolgt per Upload. Die größten Bedenken hatte ich im Vorfeld bezüglich der Reinschrift erledigter Auftragspositionen. Diese erfolgen im Klartext und erscheinen auf der Rechnung. Zudem werden vorgegebene Arbeitspositionsnummern von der Buchhaltung erst anhand der geschriebenen Story zugesteuert. Zum Glück waren meine Bedenken unbegründet. Die größte Hilfe war der elektronische Teilekatalog. Dieser hat mir bessere Dienste geleistet, als jedes technische Wörterbuch.
Weniger komfortabel war meine Wohnsituation in Astoria (Queens). Die Wohnlage war zwar perfekt, die Fahrten zur Arbeit mit meinem neuen Fahrrad ein Traum. Das Zimmer in der Altbauwohnung bei einer herrlich desorganisierten älteren Dame aber sehr gewöhnungsbedürftig. Für den Besuch meiner Frau im Mai beschloss ich daher, 10 Tage eines von Marias Zimmern in New Jersey in Anspruch zu nehmen. Ich wusste bisher gar nicht, für welch vielfältige Anwendungen 2-Komponenten Kleber taugt … oder eben nicht. Im Juni war es dann leider soweit: meine Vermieterin fing an, mich für den Absturz von derart an der Wand befestigten Bildern und weiteren Pannen ähnlichen Ursprungs verantwortlich zu machen. Ich beschloss daher, das Zimmer vor dem Besuch meiner Tochter im Juli zu kündigen. Nun muss man wissen, dass im Sommer in New York gewissermaßen Wohnungsnot herrscht. Der Zeitpunkt war also denkbar ungünstig. Im Juli habe ich ein Zimmer in einer jungen WG auf der 116. Straße mieten können, dessen Mieter für 4 Wochen in Europa war. Anfang August wurde es allerdings eng. Hätten Maria und Jay nicht spontan für mich den Vertrag für ein kleines Studio in New Jersey unterschrieben, wäre mein Aufenthalt vermutlich vorzeitig beendet gewesen.
Der Besuch meiner Tochter im Juli war eines der Highlights. Wir hatten nicht nur Karten für das Sommer Event schlechthin, das Konzert von Jay Z und Justin Timberlake im Yankee Stadium, sondern auch eine Einladung nach Pennsylvania. Dort bekamen wir nicht nur beide je eine Flugstunde. Meine Tochter, die mitlerweile Jura studiert, durfte auch einen Tag den Staatsanwalt bei Gericht begleiten.
Das Jahr bei MBM ging viel zu schnell vorbei, trotz diverser Anflüge von Einsamkeit. Der Abschied Ende Dezember wurde mir wahrlich nicht leicht gemacht. Ich weiß nicht mehr, wie viele Kollegen mich in diesem Monat aufsuchten um mir mitzuteilen „Du kannst nicht gehen, du gehörst hierher!“ Ich habe selten so eine tolle Community erlebt und vermisse die Kollegen schon jetzt.