Ostern fällt in diesem Jahr aus, statt Eiersuchen im Kreise der Lieben steht die Auto China 2014 in Beijing auf dem Programm. Der Dreiklang lautet: Karfreitag in den Flieger, Ostermontag zurück und am Dienstag wieder im Büro. Der Tag beginnt für uns bereits vor Messebeginn mit Auto. Mit viel Auto. Hier in Beijing scheint alles größer: Riesenflughafen, gigantische Hochhäuser wie das CCTV-Gebäude, vielspurige Autotrassen und leider auch Mega-Staus. Die Uhr zeigt halb Acht. Ihre Zeiger bewegen sich schneller als wir. Stillstand auf vier Spuren. Und wenn es ein wenig vorwärts rollt, wird es schnell eng. Beijings Autofahrer scheinen den mutigen Elan italienischer Autolenker mit dem Durchsetzungswillen deutscher Fahrer zu vereinen. Dazwischen todesmutige Fußgänger. Ein Herr mit Aktentasche und riesigem Smartphone zwängt sich durch den Gegenverkehr, den Blick unentwegt aufs Display geheftet. Um Zentimeter verfehlt vom Außenspiegel eines Rollers.
Endlich an der Pforte angelangt, scheint dort ein Lotterieunternehmen Sponsor zu sein. Zehn Drehkreuze, die nur jeweils geschätzte drei von zehn Ausstellerausweisen akzeptieren, zehn englisch unkundige Pförtner und ein permanent plärrendes Megaphon. Ich komme durch, meine Kollegin bleibt draußen. Nach minutenlangem Gestikulieren und dem Ausprobieren aller Drehkreuze darf sie dann doch passieren. Geschafft. Vor uns liegen neun Messehallen mit 2000 Ausstellern aus 14 Ländern. Fast 120 Neuvorstellungen sind angekündigt.
Was als erstes auffällt: Die Masse an Besuchern. Alt und Jung, Kind und Kegel schieben sich an diesem „Presse- und Fachbesuchertag“ durch die Hallen. Auch in Halle W 4, wo bereits die Vorbereitungen für die Mercedes-Benz Pressekonferenz laufen. Während hinter der Bühne die letzten Checks angesetzt sind, drängen sich davor bereits hunderte Neugierige. Tarnfleck-Uniformen marschieren auf, bilden eine Kette um den Stand. Vorschrift der Messeleitung, um zu vermeiden, dass die Besucherscharen die Bühne stürmen. Weniger der Autos wegen als der Sängerin Coco Lee, die einen Teil des Showprogramms auf unserem Stand bestreitet. Und tatsächlich: Kaum betritt sie die Bühne, bricht um mich herum Hektik los. Ein chinesischer Pressekollege zu meiner rechten schnattert aufgeregt in sein Handy, derweil drückt zu meiner Linken eine junge Dame verzweifelt auf ihrem pinken „Hello Kitty“ Handy herum. Ausgerechtet jetzt digitale Ladehemmung statt cooler Selfies – Murphy´s Law gilt also auch in China. Bei Hyundai muss sogar die komplette Halle abgeriegelt werden. Auch hier nicht wegen der kleinen SUV-Studie ix25, sondern wegen dem chinesischen Popstar Leehom Wang, der hier auftritt.
Neben den Stars sind natürlich die Autos die Stars. So auch unsere Langversion der C-Klasse und natürlich unser Concept Coupé SUV, die beide zu den wohl am heftigsten umlagerten Ausstellungsstücken der Messe zählen. Abgesehen von den Premieren unserer deutschen Mitbewerber – etwa dem BMW Vision Future Luxury oder dem Audi TT Offroad Concept – sind insbesondere die vielen chinesischen Lokalmarken interessant, die es bislang noch nicht nach Europa geschafft haben. Chery, GAC, Haval, SIAC, Tian, Great Wall und Qoros, um nur einige zu nennen. Hier zeigt sich, dass es zwar immer noch viel von Europa oder den USA Kopiertes gibt, aber sich mehr und mehr ein eigenständiges Design für die rasant wachsende chinesische Mittel- und Oberschicht durchsetzt. So zeigt Haval beispielsweise die Studie eines sportlichen SUV Coupé mit Plug-in Hybrid und einem angegebenen Verbrauch von unter drei Litern.
Überhaupt haben die alternativen Antriebe hier einen hohen Stellenwert. Einer der Stars unter den rund 80 Welt- premieren zu diesem Thema ist Denza. Der im Joint Venture zwischen Daimler und unserem chinesischen Partner BYD (Build Your Dreams) entstandene Stromer schafft 300 Kilometer Reichweite mit seinem 116 PS starken E-Motor. Das Fahrzeug, dass nur in China erhältlich sein wird, kommt im Herbst auf den Markt.
Die Tour durch die Hallen ist nicht nur aus technischer Sicht eine spannende Entdeckungstour: So unterscheidet sich die Präsentation der Fahrzeuge oder die Aufmachung der Stände manchmal doch sehr von unseren Gewohnheiten. So viel Blumenschmuck auf den Podien, goldbeschleifte Stuhlhussen und dezibelstarke und hochfrequente Dauerbeschallung etwa findet man weder auf der IAA noch auf dem Genfer Autosalon. Zu schaffen macht uns neben der lauten Geräuschkulisse dabei vor allem eines: Die Temperatur, die unter den grellen Scheinwerfern an einen Mittag in der Wüste Gobi erinnert. Längst ist der Anzug durchgeschwitzt. Abkühlen vor den Türen? Ebenfalls nicht unbedingt empfehlenswert. Hier hat es zwar nur rund 20 Grad, aber der allgegenwärtige Staub haftet hervorragend am feuchten Anzugstoff und ergibt eine feine, aber sichtbare Panade. Vielleicht war der Erfinder des Wiener Schnitzels in Wirklichkeit Chinese.
Doch irgendwann geht dann aber auch der härteste Messetag zu Ende. Der Ausgang liegt hinter den Lotterie-Drehkreuzen. Gleiche Prozedur wie am Morgen – diesmal ziehe ich den „Zonk“ und komme nicht raus. Ich muss nur alle Drehkreuze ausprobieren, dann entlässt mich ein freundlicher Türsteher auch ohne funktionierendes Ticket in die Freiheit. Im Auto die Fotobeute des Tages durchgeklickt und die Notizen vervollständigt. Das funktioniert hervorragend – im Mega-Stau des abendlichen Beijing.