Ein Konvoi der Hoffnung – Das war das Motto unseres dritten Hilfskonvois. Ich erinnere mich noch gut, wie meine Unterstützung von syrischen Flüchtlingen angefangen hat und ich weiß auch, dass wir Ende 2013 davon ausgegangen sind, dass der Bürgerkrieg in Syrien bald zu Ende sein wird.
Nach dem ersten Konvoi im September 2013 haben viele Kolleginnen und Kollegen darum gebeten, weitere Hilfe nach Syrien zu schicken. Die Aktion hat mich beeindruckt und mir war klar, dass wir weitere Hilfe schicken sollten. Ich habe kurzerhand Herrn Dr. Bernhard eine Mail geschrieben und erklärt, dass viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Geld spenden und einen weiteren Transport auf den Weg bringen wollen.
Unsere Geschäftsleitung hat sich nicht lange bitten lassen. Viele sind dem Spendenaufruf gefolgt und so habe auch ich im Dezember 2013 an der Verabschiedung des zweiten Konvois teilgenommen. Es war kurz vor Weihnachten und ich wusste, ich würde in Kürze im Kreise meiner Familie ein üppiges Weihnachtsmal verspeisen und mich über Geschenke freuen, die ein Zeichen von Überfluss sind.
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Während der Weihnachtsfeiertage habe ich überlegt, wie wir weiter helfen können. Mir ist klar geworden, dass ich die Welt nicht retten kann, aber in meinem unmittelbaren Umfeld kann ich mich einbringen und so entstand die Idee, Flüchtlingen, die nach Deutschland kommen, zu helfen. Ein Aufruf im Intranet von vier Kolleginnnen und Kollegen (Bettina Agosthinho; Günther Mack; Havva Tetik und mir) die die gleiche Idee hatten, hat dann zur Gründung der Daimler-Syrienhilfe geführt. Inzwischen sind es über 40 Kolleginnen und Kollegen, die sich in unterschiedlichen Projekten einbringen. Mike Oliver Lorenz hat in seinem Blogbeitrag darüber berichtet, was viele Helfer für Flüchtlinge tun.
Ja, ich bin dabei!
Neben diesem Engagement war immer klar, dass wir weitere Hilfe an die syrische Grenze schicken wollen. Aber der Bürgerkrieg und die sich ständig verschiebenden Fronten, machten einen Transport bislang unmöglich. Als es vor 6 Wochen hieß, wir machen uns wieder auf den Weg, um Menschen in Not zu helfen und ich gefragt wurde, ob ich mitfahre, konnte die Antwort nur ja lauten.
Als Hauptkoordinatorin unserer Tätigkeiten in Deutschland sollte ich die Möglichkeit erhalten, zu sehen, was mit unseren Hilfsgütern passiert und wie die Lage in der unmittelbaren Nähe der Grenze ist.
Am Sonntag vor dem Start des Konvois haben wir (Claws Tohsche, er schrieb über den letzen Syrien-Hilfskonvoi, Johannes Behringer und ich) uns mit den Fahrern getroffen. Wir haben uns auf die Reise, die keine Reise, sondern eine Mission war, eingestimmt. Trucker sind harte Kerle, aber das Schicksal der Flüchtlinge unten denen viele Kinder sind, lässt auch diese harten Jungs nicht kalt.
Die Fahrt über Österreich, Ungarn, Rumänien und Bulgarien bis in die Türkei war anstrengend. Aber was bedeutet anstrengend für eine Wohlstandseuropäerin wie mich, die in einem Vito quer durch Europa gefahren wurde? Wie beschwerlich ist der Weg für die Flüchtlinge, die teilweise zu Fuß zu uns nach Deutschland kommen?
Eine ganz besondere Tour
Stolz trugen die Fahrer die schwarzen Polo-Shirts mit dem Schriftzug Mercedes-Benz. Einer von ihnen erklärte, dass er schon lange auf den Straßen unterwegs ist. Aber diese Tour, mit dieser Fracht ist etwas Besonders. Auch mich hat der Anblick von acht großen LKW im Konvoi immer wieder beeindruckt, umso mehr, da ich unsere Mission kannte. Entlang des Weges an den Raststätten sind wir immer wieder angesprochen worden. Immer wieder lautete die Frage: „Was transportiert ihr in euren Trucks? Wohin fahrt ihr?“. Überall wurden wir mit Neugier und Respekt empfangen. Viele Menschen entlang unserer Reiseroute haben unser Engagement begrüßt.
„Diesmal bringen die Mercedes-Benz Trucks von LOG gesammelte Hilfsgüter für etwa 30.000 syrische Flüchtlinge in die türkischen Lager Gaziantep und Suruc – von Stuttgart knapp 4.000 Kilometer entfernt. Ihre 120 Tonnen schwere Ladung besteht aus Kindernahrung, Windeln, Kleidern und Schuhe sowie Decken und Zelte. Diese Hilfsgüter im Wert von über 1 Mio. Euro werden dort dringend benötigt.“
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Bulgarien: Wartezeiten bis zu einer Woche
Schwierig wurde es an den Grenzen. Hilfsgüter haben Vorrang, das ist fast allen Fahrern bekannt. Viele hatten Einsicht aber an der Grenze zwischen Bulgarien und der Türkei hielt sich das Verständnis einzelner Trucker in Grenzen. Angesichts von Wartezeiten von bis zu einer Woche, kann ich das nachvollziehen. Aber im Ende haben auch Trucker ein großes Herz für Kinder, so dass wir uns auch hier vorn anstellen durften.
Beeindruckend war die Überquerung des Bosporus. So atemberaubend wie der Anblick der Stadt, ist auch der Verkehr in der Stadt. Schwache Nerven kann man sich dort nicht leisten. Aber unser junger Kollege, hat sich nicht aus der Ruhe bringen lassen und uns sicher durch die Stadt chauffiert.
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In Istanbul hatten wir die Gelegenheit mit Vertretern einer türkischen Hilfsorganisation zu sprechen und deren Räumlichkeiten zu besuchen. Uns wurde berichtet, dass schätzungsweise 300.000 syrische Flüchtlinge in der Stadt sind. Nicht alle lassen sich registrieren, so dass niemand genau sagen kann, wie viele Flüchtlinge wirklich in der Stadt sind.
Türkei: Flüchtlinge sind Gäste
Die Türken leisten Unmenschliches bei der Betreuung von so vielen Flüchtlingen, die sie, als Gäste bezeichnen. Die Gäste erhalten kostenlose medizinische Versorgung und es wird, soweit möglich, Wohnraum zur Verfügung gestellt. Daneben gibt es ebenfalls Sammelunterkünfte. In einer Metropole wie Istanbul, keine einfache Aufgabe. Im Rahmen der Möglichkeiten erfolgt in dieser Einrichtung eine Betreuung der Kinder und Erwachsenen durch Lern- und Spielangebote. Ziel ist ein normaler Tagesablauf, so weit man unter diesen Bedingungen überhaupt von Normalität sprechen kann.
In Istanbul haben wir viele syrische Flüchtlingsfamilien in den Parks der Stadt gesehen. An den Straßen sind uns unzählige bettelnde Kinder begegnet. Mir ist der Anblick von Bettlern in der Stuttgarter Innenstadt geläufig, aber Kleinkinder, die mitten auf einer Schnellstraße sitzen, ein Baby, das in Decken gehüllt neben der kleinen Schwester liegt, die die Hand aufhält, das ist etwas anderes.
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Türkische Gastfreundschaft
Von Istanbul aus sind wir nach Aksaray gefahren. Die Türkei ist ein wunderschönes Land. Das Land ist gerade im Süden agrarisch geprägt und gemessen an unserem Wohlstand, recht ärmlich. Ihre bescheidenen Mittel hindern die Menschen aber nicht daran, gastfreundlich zu sein. So viel Tee, wie uns von gastfreundlichen Türken angeboten wurde, konnten wir gar nicht trinken.
Gaziantep war das Ziel unserer Reise. Die letzte große Stadt in der Türkei, dicht an der syrischen Grenze. Eine große Stadt, in der wir wieder viele Flüchtlinge gesehen haben. Etwa 15 % der Gesamtbevölkerung sind syrische Flüchtlinge. Mir wurde klar, dass der Krieg nicht weit weg ist. Es war heiß und im Ramadan spielt sich das Leben auf den Straßen nach dem Sonnenuntergang ab. Der Anblick von spielenden Kindern auf den beleuchteten Spielplätzen in den Parks um 23:00 Uhr war außergewöhnlich.
Nach unserer Ankunft sind wir am Abend mit den Fahrern Essen gegangen. Hatte ich bis zum Zeitpunkt dieser Reise das Truckerleben für romantisch gehalten, so muss ich heute sagen: Es ist anstrengend. Ich habe großen Respekt vor allen, die diese Arbeit erledigen! Und dann hat mich die türkische Gastfreundschaft eingeholt.
Die Fahrer haben uns Mitreisenden ein Geschenk überreicht, während ich daran überhaupt nicht gedacht habe. Ich hätte vor Scham in den Erdboden versinken können. Das werde ich aber noch nachholen. Versprochen!
Zollfreigabe
Am nächsten Morgen erfolgte die Entzollung der Hilfsgüter. Unsere acht Trucks warteten nach der Freigabe durch den Zoll darauf, dass sie entladen werden konnten. Die Hilfsgüter werden nicht direkt in die Flüchtlingslager gebracht, sondern in zentralen Lagerhallen für verschiedene Güter verwahrt. Bei Bedarf werden dann beispielsweise die notwendigen Decken oder Medikamente aus dem Vorratslager geholt. Auch unsere Hilfsgüter wurden in eine dieser Lagerhallen gebracht.
Alle Hilfslieferungen die in der Türkei ankommen, werden von AFAD, der Behörde für Katastrophenmanagement der Türkei verwaltet. AFAD betreibt insgesamt 25 Lager für Flüchtlinge. Wir haben das Größte dieser Lager, in Suruç, besucht.
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Leben in der Zeltstadt
Dort ist in einer großen, aus weißen Zelten, bestehenden Stadt, Platz für 35.000 Flüchtlinge. Derzeit leben 25.000 Menschen in dieser Flüchtlingsunterkunft. Die Hälfte der Bewohner sind Kinder. Verständlich, denn 70% der Syrer sind unter 30 Jahren.
Die Gäste in der Zeltstadt leben in Gemeinden von rund 3.000 Einwohnern zusammen. Ziel ist ein möglichst menschenwürdiges, selbstbestimmtes Leben. Es gibt jeweils einen Ortsvorsteher, der mit dem Leiter des Lagers Wünsche und Bedürfnisse der Bewohner abstimmen kann.
In der Zeltstadt gibt es nur zwei Schulen, mehrere Supermärkte und ein Krankenhaus. Wenn man an diese Unterkunft heranfährt fallen die bunten Spielplätze auf, die sich auf dem Gelände befinden. Bunte Spielgeräte zum Klettern und Toben für die Kleinen, so wie wir sie auch kennen.![]()
Arbeit, Ausbildung und Unterricht
Neben der allgemeinen Schulbildung bietet AFAD die Möglichkeit, eine Berufsausbildung zu absolvieren. Es werden unter anderem Schneider, Friseure und Mechaniker aber auch IT-Fachleute ausgebildet.
Wie in jeder anderen Gemeinde haben die Bewohner Ausweise und können das Lager tagsüber verlassen. Uns wurde berichtet, dass einige Flüchtlinge arbeiten. Wenn immer möglich, werden die Flüchtlinge auch in die Arbeit im Lager integriert. So sind die Lehrkräfte der Kinder überwiegend Syrer, so dass der Unterricht in der Muttersprache erfolgen kann. Der Alltag soll so normal als irgend möglich für die Bewohner verlaufen. Soweit das unter den Bedingungen eben möglich ist.
Neben diesen von AFAD betreuten Unterkünften gibt es Dutzende kleiner Lager, die entweder von der Stadt, dem türkischen Halbmond oder anderen Organisationen betrieben werden. Wir haben uns auch diese Lager angesehen. Überall konnte man Euro-Paletten liegen sehen, die als Matratzenersatz genutzt werden. Anders als in den AFAD-Lagern waren die Zelte einfach und es fehlte an sanitären Einrichtungen.
Kampf um Süßigkeiten
Es war erschreckend. Verschmutze Kinder haben uns aus großen, traurigen Augen angesehen. Die Süßigkeiten, die ich mitgenommen hatte, wurden uns förmlich aus der Hand gerissen. Ich hatte sie mitgenommen, um nicht mit leeren Händen zu kommen und um zu zeigen, dass wir helfen möchten. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass uns Süßigkeiten in Bedrängnis bringen könnten. Aber genau das ist passiert. Umringt von Dutzenden Kindern, die an mir zerrten, war es mir nicht möglich, die Leckereien gerecht zu verteilen. Wir groß muss das Elend sein, dass man einen wildfremden Menschen wegen ein paar Süßigkeiten bedrängt?
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Ein türkischer Kollege, der uns ab Istanbul begleitet hat, hat es treffend ausgedrückt, als er sagte:
Diese Kinder, sind eine verlorene Generation. Sie haben Ihre Heimat verloren und sehen keine Zukunft.
Nach mehr als 4 Jahren Krieg in Syrien, wissen wir, dass es nicht mehr nur darum geht, die größte Not mit Kleidern und Nahrungsmitteln zu bekämpfen. Es geht darum, den Kindern eine Zukunft zu bieten. Eine Zukunft wird es für sie nur geben, wenn sie Bildung erhalten und wir sie in die Lage versetzen, hoffentlich bald, ihre Heimat wieder aufzubauen.
Bildung ist Zukunft
Wir haben einen Botschaftsmitarbeiter kennen gelernt und er hat von einer syrischen Schule berichtet, die in Gaziantep betrieben wird. Die Initiatoren sind syrische Flüchtlinge, die erkannt haben, dass die Bildung ihrer Kinder sehr wichtig ist. Derzeit werden nach Aussage von ASAM in Istanbul nur ca. 37% der syrischen Kinder beschult. Jedes Kind sollte zur Schule gehen können und nach Möglichkeit in der eigenen Muttersprache unterrichtet werden.
Unser Konvoi of Hope ist angekommen mit all den Hilfsgütern die dort benötigt werden. DANKE, an alle die dies ermöglicht haben!
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Wunschprojekt: Schule der Hoffnung
Er hat mich aber auch mit der Botschaft zurück nach Hause geschickt, dass wir diese Kinder nicht vergessen dürfen! Ich möchte gerne, dass wir eine Schule der Hoffnung auf den Weg bringen. Die Schule, die in Gaziantep betrieben wird, sollten wir unterstützen. Es wird Geld benötigt, um die Miete für das Schulgebäude zu bezahlen und natürlich wird auch Lehrmaterial und vieles mehr benötigt.
An dieses neue Wunschprojekt dachte ich, als ich am Flughafen auf meinen Flug in Richtung Heimat gewartet habe. Mir wurde klar, dass ich auf den Weg zurück in den Wohlstand bin. Es ist so unwirklich für mich, vor ein paar Tagen an der Grenze zu einem Land zu stehen, in dem Krieg herrscht und kurze Zeit später wieder den Luxus der westlichen Welt zu genießen.
Ich musste an ein Lied von Udo Lindenberg denken, dass er, wenn ich mich richtig erinnere, in den 80er Jahren mit einem kleinen Mädchen gesungen hat. In diesem Lied fragt das Mädchen: „Sag mal, wozu sind Kriege da?“ Damals war Krieg für mich weit weg. Heute habe ich mit eigenen Augen gesehen, wie eine zerstörte Stadt aussieht und was Krieg für Menschen bedeutet. Ich habe auf die Reste von Kobane geschaut.
Wozu sind Kriege da?
Wozu Kriege da sind, weiß ich auch nicht. Aber ich weiß, dass wir Menschen sind, die alle das gleiche Ziel haben: Wir wollen in Frieden leben. Erleben, wie unsere Kinder groß werden und im Alter unseren Enkeln von den Abenteuern unserer Jugend berichten. Uns verbindet mehr als uns trennt und deshalb sollten wir einander helfen!
Helfen Sie um diesen zwei kleinen Jungs und möglichst vielen anderen Flüchtlingskindern eine Zukunft zu geben.
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