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Give him the Eight (Gib ihm die Acht)
„Es wird Nacht Senhorita und ich hab´ kein Quartier“. So können schon mal Geschichten anfangen und was dann dabei herauskommen kann, mag sich jeder selbst ausmalen. Der zweite Teil meines kleinen Abenteuers fängt allerdings so ähnlich an. (Zum 1. Teil geht’s hier entlang)
Wir schreiben das Jahr 2005 und ich bin mit dem wunderschönen, dunkelblauen Mercedes-Benz 190D von meinem Onkel unterwegs. Mein kleiner Road Trip führt mich durch Kalifornien, Arizona und Nevada. Über San Franzisco und Los Angeles bin ich jetzt in Needles, einem kleinen Ort am Colorado River angelangt. Hier ist es im Sommer irre heiß.
Als wir das erste Mal mit dem Wohnmobil dort Rast gemacht haben, habe ich mich beinahe schlapp gelacht. Da saßen zwei fast nackte Typen auf Campingstühlen unter einer Außendusche. Natürlich mit Sonnenbrille und einem verdächtigen Becher samt Deckel und Strohhalm in der Hand.
Needles ist eben ein richtiger Hot Spot. Doch heute haben wir angenehme Frühlingstemperaturen und ich bin nur auf der Durchreise nach Las Vegas. Leider wird es gerade ziemlich schnell dunkel und die Nacht bricht herein. Tja, und richtig, ich habe kein Quartier.
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Was man versprochen hat, das muss man auch halten. Genau, und ich habe meiner Frau versprochen, nicht im Auto zu schlafen, sondern immer ein Hotel für die Nacht zu suchen. Wegen der Sicherheit, versteht sich. Außerdem bietet sich der Baby-Benz auch nicht gerade als Wohnmobil an.
Normalerweise bin ich immer mit den Couponheften in Amerika unterwegs. Diese liegen an Tankstellen und bei den Touristeninformationen aus. In den Heften gibt es teilweise wirklich unschlagbare Übernachtungsangebote und zusätzlich eine kleine Hotelbeschreibung. Einfach toll.
Unglücklicherweise habe ich irgendwie diesmal noch kein aktuelles Heft und bin daher darauf angewiesen, was mir so an Hotels über den Weg läuft. Nein, ein Smartphone hatte ich damals auch noch nicht.
Und so fahre ich auf der Hauptstraße durch die Stadt und kann erst keine Unterkunft entdecken. Ich werde schon langsam etwas unsicher, ob ich überhaupt noch was finde, aber dann kommt eine spärliche Leuchtreklame in mein Sichtfeld: MOTEL. Na klasse, denke ich, es wird ja wohl nicht das von dem Herrn Bates sein. Ha, ha!
Ich parke den Mercedes vor der kleinen Rezeption und gehe hinein. Hinter dem Tresen steht eine nette, junge Dame und lächelt mich an. Ich fühle mich sofort richtig gut aufgehoben und frage nach einem Zimmer für die Nacht. Die Dame sieht aus wie eine Mexikanerin und ihr Akzent, scheint das zu bestätigen.
Ich kann ein Zimmer bekommen, kein Problem. Ich muss nur noch eine Karte mit meinen persönlichen Daten ausfüllen und schon brauche ich nicht im 190er schlafen. Siehste, läuft doch bestens. Doch als ich wieder von meiner Anmeldekarte aufblicke, bleibt mir fast die Luft weg. Aus der wunderschönen (hatte ich das schon erwähnt?), jungen Dame, ist plötzlich ein, finster dreinblickender, Mexikaner geworden.
Ich bin richtig von den Socken, ist das hier eine Folge von den Men in Black, Versteckte Kamera, oder war ich heute einfach zu lange in der Sonne? Ich brauche ein paar Sekunden um meine Gedanken wieder zu ordnen. Jetzt sehe ich hinter dem Tresen eine kleine, leicht geöffnete Tür. Hier muss der gruselige Typ herausgekommen sein, während ich an eine heiße Dusche dachte und meine Anmeldung ausgefüllt habe.
Er schaut mich mit einem Auge an (das andere blickt zur jungen Dame, die neben ihm steht) und sagt zu ihr: „Give him the eight“! („Gib ihm die Acht“). Obwohl ich hoffe, dass damit die Zimmernummer und nicht ein 8-schüssiger Revolver gemeint ist, bin ich total durcheinander.
Der Mexikaner, für den ich wahrscheinlich ein Gringo bin, trägt maßgeblich dazu bei, dass ich mich plötzlich alles andere als gut fühle. Der jungen Dame entgeht die Veränderung der Situation natürlich nicht (Frauen sind da ja etwas sensibler) und sieht den Mann, der auch als Bandit in dem Film „Viva Zapata“ mitgespielt haben könnte, ziemlich böse an.
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Ein Mann muss tun, was ein Mann tun muss
Ich murmele irgendwas vor mich hin und sage, dass ich mir das Ganze noch mal kurz überlegen muss. Ich gehe zurück zum Auto und setze mich hinein. Als die Fahrertür, mit dem typischen satten Klang, hinter mir zufällt, fühle ich mich etwas wohler.
Ich bin, so glaube ich zumindest, nicht unbedingt das, was man gemeinhin einen Hasenfuß nennt, aber ich handele grundsätzlich immer nach Gefühl. Und mein Gefühl sagt mir hier und jetzt, dass ich auf keinen Fall die „Eight“ nehmen werde.
Egal, ob Zimmer oder Revolver. Ich muss hier weg. Mir bleibt nur noch zurück zu gehen und meine Anmeldung zu zerreißen. Ja, und genau das mache ich auch, obwohl mir die Situation äußerst peinlich ist. Zu der netten Dame mag ich gar nicht hinschauen. Ich entschuldige mich, verlasse die Rezeption und gehe zu meinem Auto.
Als ich wieder im Mercedes sitze und zurück auf die Straße fahre, geht es mir langsam besser. Selten war ich so froh, einen Ort zu verlassen. Ich hoffe, dass es in diesem kleinen Städtchen noch ein weiteres Hotel geben wird, ansonsten gebe ich dem 190er die Sporen und fahre die Nacht durch bis Vegas.
In das Motel gehe ich selbstverständlich auf gar keinen Fall zurück. Ich brauche jedoch nicht lange zu suchen, denn schon taucht das nächste Schild auf. Wieder ein Motel, allerdings wirkt es im Licht der Straßenlaternen und Neonreklamen fast freundlich. Na ja, so denke ich mir, schlimmer kann es ja nicht mehr kommen. Klar, diesen Satz kennen wir. Und, kam es schlimmer? Hm.
Die Rezeption ist hier gleich mit zwei Personen besetzt, so dass ich keine böse Überraschung erwarten muss. Die Zimmer sind einfach saubillig und spätestens jetzt müsste ich noch mal in mich gehen. Aber es ist doch einfach schon sehr spät, sehr dunkel und ich habe einen verdammt langen Weg hinter mir. Fallen mir noch mehr Entschuldigungen ein? Nein, ich glaube nicht. Das Zimmer liegt im ersten Stock und es ist riesig. Es sind zwei große Doppelbetten vorhanden und es hat (natürlich?) eine Dusche. Ja!
Leider kann ich die Zimmertür von innen nicht abschließen. Der gesamte Schließzylinder dreht einfach mit und ich drehe gleich durch. Eine zusätzliche Verriegelung ist nicht vorhanden. Eigentlich müsste ich jetzt meine Koffer nehmen und zurück zur Rezeption gehen. Aber ich will einfach nicht, ich will duschen und schlafen.
Das Problem mit der Tür löse ich so, wie man das manchmal in alten Horrorfilmen sieht. Ich schiebe kurzerhand den Kühlschrank vom anderen Ende des Zimmers, vor die Tür und gehe erst mal unter die Brause. Nach einer heißen Dusche sieht die Welt meisten schon viel freundlicher aus. Dieses Zimmer allerdings nicht.
Aber das ist mir jetzt auch egal. Ich liege auf dem großen Bett und will mich gar nicht genauer umblicken. Plötzlich steigt der Lärmpegel rapide an. Anscheinend bekomme ich noch Zimmernachbarn. Der Geräuschkulisse nach, handelt es sich um eine ganze mexikanische Fußballmannschaft.
Ein Blick aus dem Fenster sagt mir aber, dass es sich wohl eher um Wanderarbeiter handelt, die auf den Feldern Kaliforniens ihr hartes Brot verdienen. Doch auch das interessiert mich jetzt nur noch am Rande. Wanderarbeiter hin oder her, irgendwann schlafe ich ein und träume von Motels und Mexikanern mit großen Hüten.
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Route 66
Am nächsten Morgen weckt mich die aufgehende, goldene Sonne. Ich gehe zum Fenster um den neuen Tag zu begrüßen und bekomme erst mal einen großen Schreck. Nein, der dunkelblaue Mercedes ist noch da, aber meine nackten Füße stehen plötzlich in einer Eiswasserpfütze.Der Kühlschrank, mit dem ich sozusagen die Zimmertür abgeschlossen habe, ist so ganz ohne Strom, natürlich über Nacht abgetaut und das Wasser auf den Teppich gelaufen. Shit Happens.
Es ist wieder Zeit für den Highway. Oder besser gesagt, für die Mutter aller Straßen. Raus aus dem Zimmer, rauf auf die alte Route 66. Der noch junge Tag verspricht wieder wunderschön zu werden und ich fahre los. Als ich um die nächste Ecke biege, stehe ich direkt vor einem schicken Best Western Hotel. Egal, jetzt brauche ich keines mehr.
Ich habe den Tempomaten, oder wie die Amis sagen, die Cruise Control, eingeschaltet und cruise gemütlich vor mich. Das hatte ich ja schon erwähnt: Mein 190D 2.2 hat die USA-Vollausstattung. Die Sonne brennt vom Himmel, ich habe das Schiebedach geöffnet und mein Sonnenhut schützt meine empfindlichen Ohren. Alles ist wunderbar.
Der Interstate Highway 40 ersetzt hier in der Gegend die legendäre Mother Road, aber ich habe noch ein altes Stück Route 66 durch die Wüste gefunden. Weit und breit keine Menschenseele, geschweige denn Autos. Ich bin frei wie der Wind. Ein unbeschreiblich tolles Gefühl. Deswegen bin ich hier.
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Höhere Gewalt
Dann sehe ich ein Schild am Straßenrand, welches besagt, dass in dieser Einöde Flugzeuge zur Geschwindigkeitsüberwachung eingesetzt werden. Na ja, wer´s glaubt wird selig und wer´s nicht glaubt kommt auch in den Himmel. Das hat jedenfalls meine Mama immer gesagt. Aber mir ist es auch egal, weil ich den Tempomaten einfach auf die erlaubten 65 mp/h eingestellt habe. Gut, vielleicht ein paar Meilen drüber, aber was soll´s. Mein Herz ist rein.
Ich träume so vor mich hin und genieße die Tour als plötzlich etwas Unerwartetes geschieht. Ein Auto überholt mich! Ja, und dann noch zwei weitere. Die Wagen rauschen einfach so an mir vorbei. Anscheinend haben die Fahrer keine Lust, hier stundenlang durch die Gegend zu zuckeln und haben deswegen mal kurzerhand ein paar Meilen drauf gelegt.
Für den Bruchteil einer Sekunde überlege ich, ob ich mich ihnen anschließen soll. Aber ich habe es ja gar nicht eilig und außerdem halte ich mich auch ganz gerne an die vorgeschriebenen Regeln. Wozu hier auf dem Highway was riskieren? Das kann ich in Las Vegas immer noch. Ja, und ich gebe zu, dass es mit meinen 73 PS wohl auch nicht ganz einfach ist, die „Rennfahrer“ einzuholen.
Der heiße Wüstenwind weht in den Wagen hinein und ich habe die Welt um mich herum längst vergessen. Ist eine Stunde vergangen, oder ein Tag? Ich weiß es nicht. Na ja, dunkel war es zwischendurch nicht und die Gegend hat sich nicht groß geändert. Wüste, Felsen und Berge.
Oh, da kommt ja mal eine Kurve, weil ein riesiger Felsen im Weg liegt. Toll! Wie ich da so um die Kurve fahre sehe ich sie plötzlich: Drei wunderschöne amerikanische Streifenwagen stehen mit bunten, blinkenden Lichtern, hinter drei Fahrzeugen. Jedes Police Car hinter einem der drei Raser, die mich vor einiger Zeit überholt haben!
Langsam fahre ich an dem Schauspiel vorbei. Winken will ich nicht. Am besten nur schön geradeaus schauen. Mann, mann, wenn da mal nicht höhere Gewalt im Spiel war, denke ich und werfe einen Blick durch das offene Schiebedach in den blauen Himmel.
Ich fahre weiter durch die Wüste und in ein paar Stunden werde ich hoffentlich in Las Vegas sein. Dann suche ich mir erst mal ein schönes Hotel!