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Mythos Atelier: Schaffensraum der Großen Meister

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Eine große Landesausstellung der Staatgalerie Stuttgart würdigt die Bedeutung des Künstlerateliers

Die Liste der Namen beeindruckte wohl nicht nur mich. Carl Spitzweg, Otto Dix und René Magritte stehen Reih an Reih mit ebenso prägenden und bekannten Künstlern wie Henri Matisse, Pablo Picasso oder Andy Warhol. Mit roter Schrift vor grauem Grund empfängt den Besucher im Foyer der alten Staatsgalerie das „Who is Who“ der Kunstszene und –Geschichte. Eine Hommage an die Meister ihrer Zeit, die aufzeigt, was den Gast der Ausstellung  „Mythos Atelier – von Spitzweg bis Picasso, von Giacometti bis Nauman“ erwartet, die noch bis zum 10.02.2013 in der Staatsgalerie zu sehen ist. Doch die Künstler selbst stehen nur indirekt im Fokus der Ausstellung. Diese präsentiert und würdigt erstmals in einer umfassenden Überblicksschau die Bedeutung des Künstlerateliers sowie dessen Darstellung in der Moderne.

Im Rahmen der von musikalischen Klangerlebnissen bis zu klassischen Kunstereignissen reichenden kulturellen Förderung der Daimler AG, die hier erneut als Hauptsponsor fungiert,  weist die Schau ca. 200 Exponate auf; unter anderem wertvolle Leihgaben international bekannter Museen und Sammlungen wie dem Museum of Modern Art, New York, dem Musée d’Orsay, Paris und dem Museu Picasso, Barcelona sowie der Tate, London. Umfassend wurde ein übergreifender Medienbogen gespannt, der sowohl Skulpturen, Installationen, Fotografie und Videokunst mit der klassischen Malerei vereint und den Betrachter dadurch mit auf eine kleine Zeitreise von der Romantik bis in die Gegenwart einlädt.

Durch eine Vielzahl an Informationstafeln und Führungsangeboten lässt die Ausstellung den Betrachter nie allein zurück.  Und wenn man nicht wie ich, meist unbeabsichtigt, den empfohlenen, chronologisch geordneten Weg verlässt, findet sich letzten Endes auch die Antwort auf die übergreifende Frage, welche Faszination das Atelier seit über zwei Jahrhunderten auf das Schaffen der Künstler ausgeübt hat.

Schon in der Renaissance diente der Atelierraum als Selbstbildnis für meist repräsentative Zwecke und der Demonstration des eigenen Könnens –  wie es die Werke von Georg Friedrich Kersting, Eduard Manet oder Carl Spitzweg unterstreichen. Über Ernst Ludwig Kirchner und Gabriele Münter, Vertreter der „Brücke“ und des „Blauen Reiter“, wandelt der Besucher weiter zur klassischen Moderne, die zugleich das Kernkapitel bildet. Pablo Picasso, Henri Matisse oder Max Beckmann erläuterten in ihren Atelierbildern nicht nur den eigentlichen Schaffensprozess, sondern verschmolzen regelrecht mit ihm. „Dabei geht es nicht um die objektive Bestandsaufnahme ihres Arbeitsumfeldes, sondern auch um eine Erklärung ihrer Kunstauffassung“, wie ich es im Führer zur Ausstellung nachlese. Eine Auffassung,  die man auf sich wirken lassen muss und die sich einem nicht im Vorbeigehen erschließt. Zu komplex und formenreich zeigen sich die Gemälde und zwangen mich förmlich, kurz inne zu halten und jene „auratische Wirkungsstätte“ im Detail zu betrachten.

Demgegenüber stilisierten Maler wie Constantin Brancusi und Alberto Giacometti das Atelier selbst zum Kunstwerk. Der Raum wird eng mit dem Schaffen und der Persönlichkeit des Künstlers verbunden und gibt dem Betrachter Einblicke in jenes „kreative Chaos“ der damaligen Zeit und ihrer Protagonisten. Der davor gehuldigte Mythos tritt in den Hintergrund und fand erst Ende der 1950er wieder intensiv an Bedeutung. Künstler wie Bruce Naumann, Joseph Boys oder Lois Renner prägten das Atelier als eine Keimzelle ihrer schöpferischen Inspiration sowie als Lebensraum, Labor und Bühne, was primär durch Video, Computer und Installationskunst zum Ausdruck gebracht wird. Steht man dann in Naumanns Videoinstallation „Mapping the Studio I – All Action Edit (Fat Chance John Cage)“, wird klar, was mit „Labor und Bühne“ gemeint ist. So filmte Naumann im Jahr 2000 sein Atelier in Mexico in unterschiedlichen Nächten zu unterschiedlichen Zeiten und Perspektiven. Mit Sicherheit ein düsteres Videoerlebnis, dessen Spannungspunkte durch vorbeihuschende Katzen, Motten und Mäusen gebildet werden, was den eigentlichen Reiz dieser Installation ausmacht: „Der Ort der Kunstproduktion entwickelt nachts ohne den Künstler ein Eigenleben“, so wie es mir das Begleitheft  verrät.

Hat man schließlich all die Informationen und Impressionen der Ausstellung aufgenommen und nimmt sich die Zeit, die Werke und die Intention der Künstler zu hinterfragen,  endet die Reise durch den „Mythos Atelier“ nicht nur einem dunklen Raum mit diversen Bildkombinationen unterschiedlicher Nachtaufnahmen, sondern mit der Erkenntnis,  dass jener Schaffensraum mehr darstellt, als nur ein „Ort des Malens“ – sondern eine Welt der künstlerischen Freiheit und inspirativen Schaffenskraft bildet, in der sich der ein oder andere selbst verlor, so wie es einst der französische Schriftsteller Jean Genet über den Maler Alberto Giacometti schrieb:

„Er lächelt. Und die ganze faltige Haut seines Gesichtes beginnt zu lachen. Auf eine komische Art. Die Augen lachen natürlich, aber auch die Stirne (seine ganz Erscheinung hat die graue Farbe seines Ateliers). Er hat, vielleicht aus Sympathie, die Farbe des Staubes angenommen.“


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