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Von wegen „ausbildungsunfähig“!

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Wenn ich frühmorgens mit den Kollegen durchs Untertürkheimer Werktor zur Schicht gehe, dann ist das für mich etwas Besonderes. Warum? Ganz einfach: Ich verlor als kleiner Junge beinahe mein Augenlicht und bin heute fast komplett blind. Ich kam vor sechs Jahren von Frankfurt nach Stuttgart in die Behindertenwerkstatt „Nikolauspflege“. Dort habe ich ein “Berufsvorbereitungsjahr“ und anschließend eine einjährige „berufsvorbereitende Bildungsmaßnahme“ belegt. Das hieß: Korbmacherei, Metallverarbeitung und Gartenarbeiten. Aber ich wollte mehr. Es folgte auf meinem Weg aber zunächst eine weitere Werkstatt für behinderte Menschen. Aber auch das sollte für mich nicht die Endstation werden. Keiner sollte mich in eine „Behindertenschublade“ stecken. Es gab Leute, die sagten „Du schaffst das nicht. Du bist sehbehindert und hast es sogar schriftlich, dass du ausbildungsunfähig bist.“

Ich bin zwar behindert, aber nur sehbehindert, und dadurch noch lange nicht ausbildungsunfähig!

Mein Ziel war immer der erste Arbeitsmarkt. Das Daimler Werk. Da wollte ich hin. Mein Vater arbeitet bei Opel, und mein Traum war es immer, es auch mal in die Automobilindustrie zu schaffen. Autos faszinieren mich, seit ich ein kleines Kind war – speziell Mercedes, ich fand den alten 250er von meinem Großvater toll. Also habe ich mich beworben. Bei Daimler. Mit der Unterstützung eines Sozialarbeiters der mobilen Jugendarbeit (danke, Gerald Bosch!). Daimler hat mir eine kleine Tür geöffnet und mir ein Praktikum ermöglicht. Obwohl ich immer dachte, ich hätte eh keine Chance, da ich ja als „ausbildungsunfähig“, abgestempelt war. Ja, es gibt wirklich einen Stempel dafür.

Es kam trotzdem anders:

Mein Ausbilder im Praktikum, Thomas Haisch, hat mich übernommen! Ein paar Tage nach dem Praktikum bekam ich meinen Ausbildungsvertrag  und fing im September 2011 beim Daimler an. In der Ausbildung macht mir die Arbeit an der Drehmaschine  am meisten Spaß. Wenn ich drehe, benutze ich eine Lupenbrille und einen Messschieber mit spezieller Digitalanzeige. Und anschließend fühle ich nach, ob die Werkstücke entgratet sind. Im Drehlehrgang zu Beginn meiner Ausbildung habe ich den Stuttgarter Fernsehturm nachgebaut. Mit Fahrstuhl und allem Drum und Dran. Mein Ausbilder sagt, ich hätte „Fingerspitzengefühl“. Muss man ja auch haben, wenn man auf einem Auge blind ist und auf dem anderen 30 Prozent Sehstärke hat. Aber ich komme klar und habe echt klasse Kollegen und meinen Meister Wolfgang Schall, die mich unterstützen, vor allem aber auch ganz normal behandeln.

Am Anfang habe ich gedacht, es könnte schwer werden.

Was, wenn ich es nicht schaffe, oder mich die Kollegen nicht akzeptieren? Jetzt, im zweiten Ausbildungsjahr, arbeite ich im Werk Untertürkheim in der Vormontage. Zwischenräder für den Vierzylinder-Dieselmotor. Ich habe ein Zimmer im Daimler-Wohnheim auf dem Hallschlag, und lerne dort viele Studenten kennen, mit denen ich mich über Studium und Ausbildung austauschen kann. Wenn es um Hausaufgaben der Berufsschule geht, zum Beispiel Mathematik, Arbeitsplanung oder Technologie, kann ich auch mal Fragen stellen. Ich lebe gerne dort. Nächstes Jahr steht die schriftliche IHK-Prüfung an.

Und dann mein großes Ziel: Vielleicht schaffe ich es, übernommen zu werden. Wir werden „sehen“…notfalls mit Lupenbrille!


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